H. Greco-Kaufmann (Hrsg.): Stadtnarren, Festspiele, Kellerbühnen

Cover
Titel
Stadtnarren, Festspiele, Kellerbühnen. Einblicke in die Berner Theatergeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart


Herausgeber
Greco-Kaufmann, Heidy
Reihe
Theatrum Helveticum
Erschienen
Zürich 2017: Chronos Verlag
von
Marianne Derron Corbellari

Heidy Greco­Kaufmann, Direktorin der Schweizerischen Theatersammlung und Dozentin am Institut für Theaterwissenschaft der Universität Bern, hat sich mit vorliegen­ dem Band zum Ziel gesetzt, zu «eine[r] bis in die Gegenwart reichende[n] Gesamtdarstellung [der Berner Theaterkultur]» (S.7) beizutragen. Ihre Forschungen sind «Teil der Bemühungen des Instituts für Theaterwissenschaften (ITW) der Universität Bern um eine Theatergeschichte der Schweiz in Einzeldarstellungen» (ebd.), im Rahmen derer bisher aus verschiedenen Kantonen Studien erschienen sind. Um das Konzept ihres Bandes zu illustrieren, zitiert Greco­Kaufmann Andreas Kotte: «Ob nun Theater vornehmlich unter dem Aspekt von Sprachkunst [...], Schriftkunst, Aufführungskunst, Darstellungskunst, Dramenkunst, Körperkunst oder unter anderen Aspekten betrachtet wird, keiner zeigt das Wesen von Theater. Dies vermögen nur mehrere oder alle ge­ meinsam.» (S. 10) Die Herausgeberin erstellte diesen Band deshalb mit folgenden Co­ Autoren und ­Autorinnen: Regula Gámiz­Brunner, Susanna Tschui, Thomas Blubacher, Thomas Feitknecht, Marianne Mühlemann, Michael E. Graber und Daniel Di Falco. Die Studie ist chronologisch gegliedert und umfasst drei grössere zeitliche Abschnitte: «den Zeitraum von der Stadtgründung 1191 bis 1700, [...] die Phase von 1700 bis 1900 und [...] das 20. Jahrhundert bis zur Gegenwart» (S. 11). Fünf «Synopsen» fassen die Unterkapitel jeweils zusammen; Literaturlisten stehen am Ende jedes Autorenbeitrags.

Die «Breite und Offenheit [des] Theaterbegriffs» (S. 11), das Verständnis von Theater als «in unterschiedlichsten Lebenssphären situierten Schauereignissen» (ebd.) manifestiert sich vor allem im ersten Teil des Buchs. Von Theater im landläufigen heutigen Sinn kann dort noch keine Rede sein, dafür umso mehr von Repräsentation unterschiedlichster Akteure und zu unterschiedlichsten Zwecken. Dieser erste Buchteil liest sich deshalb wie eine Berner Stadtkulturgeschichte aus dem Blickwinkel inszenierter Ereignisse, seien dies ritualisierte Besuche von Königen und Päpsten (Bern als «Schauplatz der Zeremonialkultur», S.19) oder fingierte Heiligenerscheinungen wie im sogenannten Jetzerhandel 1506. Das heisst, Faktengeschichte wird erzählt und (neu) gedeutet am Beispiel des Schauspiels – ein durchaus gelungener und origineller Zugang. Einen besonderen Stimulus für «Theater», welches das spätere Kunsttheater andeutete, bot die Fasnacht. Sie war «ein Forum, an dem sich unterschiedliche soziale Gruppen mit Maskierung, Verkleidung, Tanz, Umzügen, musikalischen Darbietungen und anderen Bräuchen und Spielen mit Aufführungscharakter in Szene setzen [...] konnten» (S. 70). Im mittelalterlichen und frühneuzeitlichen Bern standen Schauereignisse vielfach immer noch im Zusammenhang mit dem religiös­kultischen Geschehen (vgl. S. 71).

Infolge der Reformation wurde es notwendig, gewisse Schauereignisse so zu gestalten, dass sie zwischen katholischen und protestantischen Kantonen keinen Zwist erzeugten, also «politisch korrekt» erschienen. Auf die Bühne kamen nun vermehrt «Vorgänge mit militärisch­kriegerischem Charakter» (S. 130); gleichzeitig wurde der kulturelle Einfluss Frankreichs, der das Berner Theater noch lange prägen sollte, spürbar (vgl. S. 131).

Der zweite Teil der Untersuchung ist eine Zusammenfassung der Dissertation von Susanna Tschui, die in diesem Heft bereits rezensiert worden ist (vgl. BEZG 78,2 2016). Das 18. Jahrhundert ist die Blütezeit der reisenden Schauspieltruppen, welche die Stadtverwaltung forderten und ein Bewilligungssystem notwendig machten. Das Theater dieser Epoche schreibt sich in die gesamte «rege und vielfältige Kultur der Geselligkeit» des 18. Jahrhunderts ein (S.220). 1798 war für Bern Verlust und Gewinn zugleich: Die patrizische Salonkultur und die Schauereignisse der Zünfte verloren ihre Bedeutung, während im Hôtel de Musique endlich Aufführungen gestattet wurden, denn die französischen Besatzer hatten ein gesellschaftlich­politisches Interesse an der «stabilisierenden Funktion» des Theaters (S. 221). Als eine dem Theater verwandte Form wurde jetzt auch die revolutionäre Festkultur gepflegt, die im Wesentlichen auf dem Einsatz der Vereine beruhte (vgl. S. 222 f.). Dieser zweite grosse Untersuchungszeitraum geht mit der Schliessung des Hôtel de Musique 1900 und der Eröffnung des Stadttheaters 1903 zu Ende.

Die Zeit ab 1900 ist die Epoche der grösseren Bühnen, die heute meist völlig vergessen sind: der Kursaal Schänzli, das Varietétheater Brasserie Métropole, das Apollotheater, der Saal des Gesellschaftshauses Museum (heute Kantonalbank am Bundes­ platz) und natürlich das neue Theaterhaus am Kornhausplatz. Dennoch sei «das kulturelle Angebot Berns um die Jahrhundertwende [...] kein Ruhmesblatt» gewesen (S. 309). Mehr denn je wurde es schwierig, den «Spagat zwischen dem Wunsch eines breiten Publikums, sich in der Freizeit zu amüsieren, und einer bildungsbürgerlichen Elite, die nach erzieherisch und moralisch vorbildlichen Bühnenstücken verlangte», zu vollführen (S.310). Ein wichtiger Teil dieses Kapitels widmet sich der Zeit kurz vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Wie die Zürcher, doch in minderem Masse, wurden die Berner Bühnen zur Exilheimat vieler deutschsprachiger Schauspielerinnen und Schauspieler. Der Krieg förderte zwar die geistige Landesverteidigung auf der Bühne, das Mundart­ und Heimatschutztheater war jedoch bereits Anfang des 20. Jahrhunderts aufgekommen.

Ein kleineres, aber wichtiges Kapitel widmet sich den Berner Kellerbühnen. Diese Kleintheaterszene, die man sicher genuin bernisch nennen darf, bereicherte die städtische Theaterlandschaft viele Jahre. Während einige davon verschwunden sind, hat sich das Theater an der Effingerstrasse zu einem festen kulturellen Bestandteil etabliert. Die kleineren Bühnen waren vor allem für zeitgenössisches Theaterschaffen von Bedeutung. Nicht fehlen durfte im Band schliesslich ein Kapitel zum Tanz. Schliesslich ist das Berner Stadttheater ein Dreispartenhaus, und wenn man die Anfänge von Theater überhaupt im Kultischen denkt, ist der Tanz aus einer so detailreichen Theaterstudie nicht wegzudenken.

Der letzte Teil wirkt, da er sich mit der nahen Vergangenheit des Theaters befasst, naturgemäss polemischer. Dies ist nicht dem Autor vorzuwerfen, sondern ergibt sich aus der geringen zeitlichen Distanz zum Forschungsgegenstand. Der Autor hat vieles als Theaterkritiker und Journalist miterlebt, was er nun im Rahmen der Studie darlegt. Doch die Schilderung eines unter Eike Gramss überholten Theaterkonzeptes, des Ringens des Stadttheaters Bern nach seiner Identität wirken absolut nachvollziehbar.

Insgesamt vermittelt der Band ein detailliertes, abwechslungsreiches und spannendes Bild des Berner Theaterlebens. Auch wenn von den im letzten Teil genannten, sehr zahlreichen Namen wenige im Gedächtnis haften bleiben mögen, so entsteht doch ein extrem vielseitiger Eindruck des Berner Theaterschaffens.

Zitierweise:
Marianne Derron Corbellari: Rezension zu: Greco-Kaufmann, Heidy (Hrsg.): Stadtnarren, Festspiele, Kellerbühnen. Einblicke in die Berner Theatergeschichte vom Mittelalter bis zur Gegenwart. (Theatrum Helveticum, Bd. 17). Zürich: Chronos 2017. Zuerst erschienen in: Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 3, 2018, S. 55-57.

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Zuerst veröffentlicht in

Berner Zeitschrift für Geschichte, Jg. 80 Nr. 3, 2018, S. 55-57.

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